Introversion

Leise Menschen

Extraversion bzw. Introversion sind die bekanntesten und am gründlichsten erforschten Persönlichkeitsdimensionen der Big Five. "Die beiden Persönlichkeitstypen unterscheiden sich im Grad der äußeren Stimulation, die sie brauchen, um optimal zu funktioneren. Introvertierte fühlen sich mit weniger Stimulation 'in ihrem Element', beispielsweise, wenn sie ein Glas Wein mit einem guten Freund trinken, ein Kreuzworträtsel lösen oder ein Buch lesen. Extravertierte genießen den zusätzlichen Kick, wenn sie andere Menschen kennenlernen, auf Skiern gefährliche Pisten hinunterfahren oder die Stereoanlage weit aufdrehen." (Cain 2011, S. 26)

Extraversion und Introversion sind keine Gegensätze, sondern bezeichnen Skalen der inneren und äußeren Sinneserfahrung. Ein extravertierter Mensch ist eher außenorientiert, auf seine Umwelt gerichtet, kontaktfreudiger und gewinnt Energie aus dem Zusammensein mit anderen Menschen. Ein introvertierter Mensch ist eher innenorientiert, konzentrierter, intensiver und gewinnt Energie aus dem Beisichsein.

"Introversion sollte nicht als Gegensatz zu Extraversion, sondern als Fehlen von Extraversion verstanden werden. Introvertierte erledigen Dinge oft lieber alleine und wirken eher verschlossen, aber nicht wegen mangelnder sozialer Kompetenzen oder aufgrund sozialer Ängste, sondern einfach, weil sie es oft vorziehen, allein und unabhängig zu sein. Deshalb sind sie aber nicht unbedingt unglücklich; es fehlt ihnen lediglich das Bedürfnis nach Geselligkeit und die zugewandte Herzlichkeit der Extravertierten." (Asendorpf 2011, S. 67)

Quellen
Cain, Susan (2011): Still - Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt, München: Riemann
Asendorpf, Jens (2011): Persönlichkeitspsychologie, Heidelberg: Springer


"Warum sind einige Menschen mehr nach außen gekehrt als andere? Gibt es biologische Faktoren, die das beeinflussen? Es gibt verschiedene Beobachtungen und Theorien, warum Menschen eher für sich sein wollen und andere wiederum den Trubel brauchen. Eine Beobachtung zeigte, dass introvertierte Menschen einen höheren Blutfluss im Gehirn haben als extravertierte. Mehr Blutfluss heißt mehr Stimulation und Sensitivität. Zudem konnten Wissenschaftler zeigen, dass das Blut bei introvertierten Menschen einen komplizierteren Weg für das Blut in das Gehirn nimmt als bei extravertierten Menschen. Der Weg der introvertierten gehe vermehrt in die Gehirnareale die für Erinnerung, Problemlösung und Planung zuständig sind. Die 'lange Leitung' könnte ein Grund dafür sein, dass introvertierte manchmal etwas länger brauchen, ein Wort auszusprechen oder sich auszudrücken. Der Weg der extravertieren Menschen sei weniger kompliziert. Hier seien eher visuelle, auditorische und sensorische Areale schneller durchblutet, also aktiver. Der kürzere Weg sorge dafür, dass extravertierter schneller Antworten können als introvertierte." (Mayländer 2023)

"Nicht allein die Biologie bestimmt, ob jemand eher extra- oder introvertiert ist. Auch wie jemand aufwächst, beeinflusst, ob wir mehr Zeit für uns brauchen oder uns von einem Abenteuer ins nächste stürzen. Wer bei nach außen gekehrten Eltern aufwächst, bei denen oft Besuch von Freunden da ist, oder oft auf Reisen sind, wird extravertiertes Verhalten gefördert. Hinzu kommt, dass extravertierte Personen meist offener auf andere zugehen und mehr lächeln. Andere reagieren dann positiver auf diese Person, was wiederum extravertiertes Verhalten verstärkt." (Mayländer 2023)

"Die meisten Menschen würden sich weder als extrem introvertiert noch als extravertiert sehen, sondern irgendwo in der Mitte. Auch die Wissenschaft unterstützt die Idee, dass es 'Ambiverts' gibt, also Menschen, die zwischen Introversion und Extraversion stehen. Sie verbinden die Vorteile beider Seiten. Sie können gut zuhören sich aber auch durchsetzen. Generell seien extreme Tendenzen in die eine oder andere Richtung rar." (Mayländer 2023)

Quelle
Mayländer, Ina (2023): Warum ist man eher extravertiert oder introvertiert?, [online] scilogs.spektrum.de/hirn-und-weg/warum-ist-man-eher-extravertiert-oder-introvertiert/ [02.01.2023]

Introversion und Schüchternheit

"'Introvertiert' wird häufig synonym mit 'schüchtern' verwendet. Denn auch eine introvertierte Person hält sich in sozialen Situationen tendenziell zurück. Aber nicht weil sie wie ein schüchterner Mensch Hemmungen hat, sondern weil die Interaktionen sie erschöpfen. Vereinfacht könnte man sagen, die introvertierte Person will allein sein, während die schüchterne dies gar nicht will, aber sich nicht traut, auf andere zuzugehen. Introversion gilt als sehr stabile Persönlichkeitseigenschaft, ihr Gegenpol ist die Extraversion. Wer extravertiert ist, also unter anderem stark an Kontakten interessiert, kann dabei zugleich unsicher sein – und damit schüchtern." Kratzer, Anne (2023): Soziale Angst und Introversion, in: Psychologie Heute 04/2023, S. 17

Literatur

Buchtipp: Still

Selbstsicheres Auftreten und die Beherrschung von Small Talk sind nicht alles. Susan Cains glänzendes Plädoyer für die Qualitäten der Stillen. "Ein leerer Topf klappert am lautesten". Aber wer der Welt etwas Bedeutendes schenken will, benötigt Zeit und Sorgfalt, um es in Stille reifen zu lassen. "Still" ist ein Plädoyer für die Ruhe, die in unserer Welt des Marktgeschreis und der Klingeltöne zu verschwinden droht. Und für leise Menschen, die lernen sollten, zu ihrem "So-Sein" zu stehen. Ohne sie hätten wir heute keine Relativitätstheorie, keinen "Harry Potter", keine Klavierstücke Chopins, und auch die Suchmaschine "Google" wäre nie entwickelt worden. "Still" baut eine Brücke zwischen den Welten, kritisiert aber das gesellschaftliche Ungleichgewicht zugunsten der Partylöwen und Dampfplauderer. Es herrscht eine "extrovertierte Ethik", die stille Wasser zwingt, sich anzupassen oder unterzugehen. Ihre Eigenschaften - Ernsthaftigkeit, Sensibilität und Scheu - gelten eher als Krankheitssymptome denn als Qualitäten. Zu unrecht, sagt Susan Cain, und stellt sich gegen den Trend, der "selbstbewusstes Auftreten" verherrlicht. "Still" ist das Kultbuch für Introvertierte, hilft aber auch Extrovertierten, ihre Mitmenschen besser zu verstehen. © Text und Bild Riemann. Cain, Susan (2011): Still - Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt, München: Riemann - Kommentar zum Buch bei michaelditsch.de

Buchtipp: Leise Menschen - starke Wirkung

Die starken Seiten introvertierter Menschen - Ratgeberliteratur zum Thema Kommunikation und Umgang mit Menschen orientiert sich so gut wie immer an den "Extros", also an Menschen, die sich in ihrem Verhalten dynamisch, spontan und gern nach außen öffnen. Extrovertierte Menschen sind mit Blick auf die Gesamtbevölkerung jedoch keinesfalls in der Mehrheit, werden wegen ihrer offensiveren Kommunikation aber in der Regel stärker wahrgenommen. Das vorliegende Buch ist anders: Es will leise Menschen auf positive Weise mit sich selbst bekannt machen. Im Mittelpunkt stehen die Vorteile, die sie mit ihren Eigenschaften im Umgang mit sich selbst und anderen haben. Denn introvertierte Persönlichkeiten sind nicht defizitär, sondern sie haben schlicht andere Stärken und andere Bedürfnisse als extrovertierte Menschen. © Bild und Text Gabal. Leise Menschen - starke Wirkung: Wie Sie Präsenz zeigen und Gehör finden, Sylvia Löhken, Gabal Verlag, 2012. Kommentar zum Buch bei michaelditsch.de

Buchtipp: Intros und Extros

Das Thema "leise Menschen" hat seit Erscheinen des ersten Buches von Dr. Sylvia Löhken eine hohe Aufmerksamkeit. Da sowohl privat als auch im Beruf "Intros" und "Extros" in gemischten Teams vorkommen, stellt sich die Frage: Wie können intro- und extrovertierte Menschen so zusammen leben und arbeiten, dass es für beide Persönlichkeitstypen passend und nutzbringend ist? Die Antworten auf diese Frage sind noch weitestgehend unerschlossen. Nach dem Bestseller "Leise Menschen – starke Wirkung" sind sie das Thema dieses neuen Buchprojektes. Das Buch zeigt vor allem eines: wie Menschen mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten, Neigungen und Eigenschaften zusammenwirken und voneinander profitieren können. Die Praxisbeispiele und ihre Lösungen führen zu mehr Verständnis, Toleranz und Wertschätzung gegenüber "leisen" und "nicht so leisen" Menschen in der Selbst- wie in der Fremdwahrnehmung. © Bild und Text Gabal. Intros und Extros - Wie sie miteinander umgehen und voneinander profitieren, Sylvia Löhken, Gabal, 2014

Lesetipp: Still und stark

Was müssen sich sensible und zurückhaltende Menschen nicht alles anhören: Von "Jetzt sag doch auch mal was!" über "Nie willst du unter Leute gehen!" bis hin zu "Dauernd ist dir alles zu viel!". In unserer lauten Welt kommt ein leiser Charakter oft nicht gut an; Zeitgenossen, die ohne Scheu auf andere zugehen, deutlich ihre Meinung sagen und ordentlich für sich selbst die Werbetrommel rühren, sind da besser dran. Dabei werden die Stärken der Stillen oft übersehen. So nehmen sie etwa Stimmungen anderer und Schwingungen im Raum sehr gut wahr, räumen Konflikte meist schnell aus der Welt und sind kompromissbereit. Sie können gut zuhören und beobachten; sie denken analytisch, bringen substanzielle Wortbeiträge und bleiben mit Geduld und Beharrlichkeit bei der Sache. Doch langsam findet ein Umdenken statt, und die Fähigkeiten der Introvertierten und Hochsensiblen werden immer mehr geschätzt - in der Gesellschaft, aber auch von den "Betroffenen" selbst. Wie diese lernen, gut durchs Leben zu kommen, und was die Forschung über die Stärken der Stillen entdeckt, lesen Sie in diesem Themenheft aus der Reihe Psychologie Heute compact. © Bild und Text Psychologie Heute. Psychologie Heute Compact 57: Still und stark, Wie sich sensible und introvertierte Menschen in einer lauten Welt selbst behaupten, 2019

Lesetipp: Die Stärke der Stillen

Psychologie Heute Ausgabe 2/2018 - Die Stärke der Stillen - Introvertierte Menschen entdecken Ihre Talente und entwickeln neues Selbstbewusstsein. Sie brauchen keine Partys, ein gutes Buch ist ihnen lieber. Sie reden wenig und verbringen gerne Zeit allein. Introvertierte standen lange im Schatten der geselligen Extravertierten und zweifelten oft, ob mit ihnen etwas nicht stimmt. Zunehmend aber entdecken die Stillen ihre Stärken und entwickeln ein neues Selbstbewusstsein. © Bild und Text Psychologie Heute.

Lesetipp: Stille Menschen

Psychologie Heute - Heft 01/2011 - Stille Menschen - das Geheimnis der Introvertierten. Wird Ihnen schnell mal alles zu viel? Zu viel Geschwätz, zu viel Informationen, zu viel Hektik? Fühlen Sie sich mit einem guten Buch auf der Couch besser als auf einer lebhaften Party? Dann sind Sie vermutlich introvertiert. Introversion ist eine Persönlichkeitseigenschaft, die oft mit Schüchternheit verwechselt wird. Doch Introvertierte sind nicht schüchtern. Sie sind nur nachdenklicher, genauer und tiefgründiger. Leider wird das oft übersehen, weil die Selbstdarsteller und Schnellredner sich heute immer mehr vordrängen. © Text und Bild Psychologie Heute - Kommentar zum Heft bei michaelditsch.de

Buchtipp: Topothesie

Topothesie ist frei übersetzt eine "lebhafte Schilderung einer wunderschön vorgestellten Welt". Ja, "artgerechte Haltung von Menschen", das wäre es! Hört auf, ruft Dueck, die Lebhaften zu unterdrücken! Lasst das unnütze Erziehen der Braven, sie sind doch schon brav – und werden nur ängstlich Angepasste! Versteht sie, die Scheuen, die Lieben und Friedfertigen, damit sie nicht in Klöster oder Universitäten fliehen müssen! Wer Menschen gerecht gleich behandelt, verwundet sie fast alle. Und die Verletzten reagieren wie Muscheln, die den Schmerz mit Perlmutt überziehen. Der Schmerz und die Perle werden zum Zentrum des Lebens. Und weil die Perle so schön aussieht, bewundern wir sie als unsere glänzende Leistung oder unseren Lebenssinn. Was aber ist Leben wirklich? Das Buch begibt sich auf eine Rundreise zu den unerhörten Wunden der menschlichen Seele, stolpert über die Reste herkömmlicher Vorstellungsmodelle des Menscheninnern hinweg – und wird am Ende wunderbar hell. © Bild und Text Springer. Topothesie - Der Mensch in artgerechter Haltung, Gunter Dueck, Springer Verlag, 2009

Basierend auf der Temperamentklassifikation von David Keirsey entwickelt Gunter Dueck ein eigenes Charaktermodell. "Die von mir so genannten richtigen Menschen denken logisch und strukturiert, die wahren mehr intuitiv und ganzheitlich, die natürlichen Menschen erklären das Primat des Willens über das Denken." Dueck, 2009, S. 53

Videos

TED Talks - Susan Cain: The power of introverts - 2012

Sylvia Löhken bei NRW.TV_Teil 1 - 2012

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"Find out who you are - and do it on purpose"
"Finde heraus, wer du bist - und mach das mit Absicht"
Dolly Parton