Laozi - 老子 - Lǎozǐ

Laozi (老子) kann sinngemäß mit "Alter Meister" übersetzt werden. Ob dieser Laozi tatsächlich gelebt hat, wird sich wohl nie nachweisen lassen, da die historische Faktenlage sehr dünn ist. Dem "Alten Meister" wird eine Sammlung von Texten zugeschrieben, die manchmal als das "Buch Laozi" bezeichnet wird, aber bekannter ist unter dem Namen Daodejing (道 德 经).

Daodejing - 道 德 经 - Dàodéjīng

Das Buch vom Dào und vom Dé

Dào Lauf, Weg, Fluss, Prinzip und Sinn
Kraft, Leben und Charisma, Tugend, Güte
Jīng Leitfaden bzw. eine klassische Textsammlung

"Bei einem so alten und in der Vergangenheit bereits so vielfach kopierten Text bleiben Verständnisprobleme auch für den Spezialisten nicht aus: Die im Original verwendete Sprache ist in ihren Begriffen vieldeutig, es gibt zahlreiche Textvarianten, und vieles von dem, was im chinesischen Original noch einigermaßen verständlich sein mag, ist schwer in die Worte einer westlichen Sprache mit ihren grammatischen Kategorien zu fassen. Bestimmte Begriffe sind vielschichtig in ihrer Bedeutung, und sehr oft lässt auch der inhaltliche Kontext eine ganze Reihe verschiedenster Übersetzungsmöglichkeiten offen. Es liegt also in der Natur des Originaltextes dieses Werkes, dass die bisher vorhandenen Übersetzungen des DAODEJING in westliche Sprachen weniger qualitativ denn inhaltlich divergieren, was ihre eigentlichen Aussagen angeht, und es so etwas wie die 'richtige' Übersetzung des DAODEJING eigentlich gar nicht geben kann." Zitiert aus dem Vorwort zu Laozi Daodejing, Muhammad W.G.A. Schmidt (Übersetzer), 2009

Das Daodejing als politische Schrift

Das Daodejing gilt als der meistübersetzte Text nach der Bibel. Viele Zitate aus dem klassischen Werk des chinesischen Altertums finden sich mittlerweile in Ratgeberbüchern, auf Kalendern oder Glückwunschkarten und besonders westliche Lehrer ostasiatischer Künste garnieren Ihren Unterricht gerne mit den Weisheiten des Laozi. Wenige machen sich dabei allerdings Gedanken darüber, auf welche Art und Weise die vielen Übersetzungen und Interpretationen des Daodejing entstanden sind, welche Qualifikationen, Interessen oder Biografien die Übersetzer und Interpreten aus dem westlichen Kulturkreis hatten, oder auf welchen historischen Grundlagen die Entstehungsgeschichte des Daodejing beruht. Die Fakten sind ernüchternd. Entstehung und Autorschaft des Daodejing liegen weiterhin im Dunkeln, klassische chinesische Texte sind auch für Sinologen nur schwer zu verstehen und es herrscht oft Uneinigkeit darüber, wie Begriffe der antiken chinesischen Philosophie in westliches Denken zu übertragen sind. Es gibt also sehr viel Spielraum bei der Übersetzung und Deutung des Textes. Ähnlich wie bei vielen anderen ostasiatischen Künsten, Schriften oder Philosophien auch, lässt sich aus der Rezeption in die westliche Kultur eher auf die Befindlichkeiten der beteiligten Personen schließen als auf den Sinngehalt der Originale. Der Sinologe Wolfgang Kubin schreibt daher zurecht: "… wir übersetzen immer nur in die Sprache und den Geist der Zeit. Daher kann es nie eine 'richtige Übersetzung geben, sondern nur eine 'andere'." (Kubin, Zhuang Zi, Herder, 2013, S. 13).

Mittlerweile kann jeder seinen eigenen individuellen Laozi in dem reichhaltigen Textangebot finden. Die teilweise sehr unterschiedlichen Ausgaben des Daodejing dienen als Projektionsflächen für alle möglichen Sehnsüchte und Wünsche und oft sind es zivilisationsmüde und frustrierte Mitglieder unserer westlichen Leistungsgesellschaft die Erlösung in den angeblichen Weisheiten des fernen Ostens suchen. Kann die Vielfalt der Interpretationsmöglichkeiten eingegrenzt werden? Eine mögliche Annäherung an den Sinngehalt des Textes bietet die sozio-historische Betrachtung. So gibt es bereits Übersetzungen, wie z.B. von Ansgar Gerstner oder Hans-Georg Möller, welche das  Daodejing eher als primär gesellschaftspolitisch-kritisches Werk sehen. Der Schlüssel zum Verständnis des Daodejing ist die historische Situation in China zur Zeit der Entstehung des Textes. Eine entscheidende Phase in der Geschichte Chinas ist die Zeit der "Kämpfenden Staaten" (Zhanguo, 453-221 v.Chr., nach Vogelsang, 2012, S. 99) und die anschließende Reichsgründung durch den ersten chinesischen Kaiser Qin Shi Huang Di.

"Während die Regionalfürstentümer sich in der Zeit der 'Kämpfenden Staaten' – Eisenguss und Massenheere revolutionierten die Kriegsführung – regelrecht zerfleischten, entstand eine neue Sozialstruktur, in der sich alle Selbstverständlichkeiten der alten Ordnung auflösten." Vogelsang, Kai; Geschichte Chinas; Reclam; 2012; S. 97

So traumatisch und verheerend diese Epoche auch war, so schöpferisch war diese Zeit hinsichtlich der sozialen, kulturellen und philosophischen Entwicklung Chinas. Die damaligen Ereignisse und Errungenschaften prägen China bis heute und haben immer noch großen Einfluss auf das Denken und Handeln. Alle Denkschulen des klassischen Altertums beschäftigten sich mit den Auswirkungen des Zerfalls der alten Gesellschaftsstruktur und waren auf der Suche nach Lösungen zur Wiederherstellung der sozialen Ordnung. Eine Erkenntnisphilosophie im westlichen Sinne wurde dabei nicht entwickelt, der Fokus lag eher auf der konkreten Ausgestaltung einer harmonischen Gesamtordnung. Dabei konkurrierten diese Schule untereinander um die Gunst der jeweiligen Herrscher. Die Stellung des Herrschers wurde dabei kaum in Frage gestellt, da die Funktion des Herrschers als einzige Möglichkeit zur Herstellung eben dieser Ordnung gesehen wurde. Die Gesellschaftsutopie eines natürlichen Urzustandes, welche im Daodejing propagiert wurde, konnte sich letztlich nicht als Staatsform für das neue zentralistische chinesische Kaiserreich durchsetzen. Konfuzianismus und Legalismus lieferten die besseren philosophischen Grundlagen für die Verwaltung und Beherrschung des riesigen Reiches.

"Im Buch Laozi werden aus einer kosmologischen Naturphilosophie recht didaktisch Strategien für gutes Regieren abgeleitet: Sich an das Dao zu halten, bedeutete, der Natur zu folgen. Nur wenige der Sentenzen im Laozi sind esoterisch und individualpsychologisch zu verstehen, wiewohl dies im Eurotaoismus des Westens ein beliebtes Missverständnis darstellt, das zu seiner Vermarktung benutzt wird. Im alten China dagegen diente die Idee des 'Handelns durch Nichthandeln' (wéi wú wéi 為無為) in der konsequenten Interpretation des Legalisten Hanfeizi (3. Jh. v. u. Z.) als Rechtfertigungsgrundlage für die Gewaltanwendung, mit der sich diverse Fürsten und Herrscher sowohl gegen das eigene Volk als auch gegen ihre Nachbarvölker durchsetzten und die kurzfristig zur chinesischen Reichseinigung im Jahre 221 v. u. Z. führte." Zhuangzi; Übers.: Kalinke, Viktor; Reclam; 2019; E-Book; Kap. "Das altchinesische Paradigma der Freiheit"

Studien zu Laozi - Viktor Kalinke

"Eine neuerliche Herausgabe des Daodejing erscheint angesichts der Vielzahl an Übersetzungen überflüssig. Doch gerade die Einseitigkeit der Texte, der Anspruch, eben eine schlüssige Auslegung des chinesischen Originals vorzulegen, begründet die Unzufriedenheit des Lesers, der verschiedene Versionen miteinander vergleicht. Der hier vorgelegte Apparat zum Daodejing vergleicht die Lesarten mehrdeutiger Passagen, um die Vielschichtigkeit des Daodejing zu erhalten und Grenzen der Übersetzung abzustecken." Kalinke, Viktor: Studien zu Laozi Daodejing, Leipziger Literaturverlag, 2000

Buchtipp: Studien zu Laozi Daodejing, Bd. 1

Text und Übersetzung / Zeichenlexikon. Mit Kalligrammen von Thomas Baumhekel. Bei den von Viktor Kalinke konzipierten "Studien zu Laozi · Daodejing" handelt es sich um die einzige Ausgabe im deutschsprachigen Raum, die auch den chinesischen Text wiedergibt (orientiert an der Standardversion nach Wang Bi), die ausdrücklich die Mehrdeutigkeiten "des" Originals sowohl in der Übersetzung als auch im Kommentar berücksichtigt, und die ein Zeichenlexikon mit Konkordanz enthält. Das Faszinierende des Daodejing besteht in einer einzigartig anmutenden Bündelung kosmischer, seelischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge, die mit Recht als unio mystica bezeichnet werden kann. © Bild und Text Leipziger Literaturverlag. Kalinke, Viktor: Studien zu Laozi Daodejing, Bd. 1, Leipziger Literaturverlag, 2000

Buchtipp: Studien zu Laozi Daodejing, Bd. 2

Anmerkungen und Kommentare: Tiraden der Vieldeutigkeit, Daoistische Wurzeln systemischen Denkens. Das Faszinierende des Daodejing besteht in einer einzigartig anmutenden Bündelung kosmischer, seelischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge, die mit Recht als unio mystica bezeichnet werden kann. Im sprachkritischen Teil  - Tiraden der Vieldeutigkeit - vergleicht Viktor Kalinke zahlreiche Lesarten einzelner Passagen. Der philosophische Kommentar sucht nach Verbindungen zwischen daoistischen Ideen und modernen systemtheoretischen Überlegungen - eine Fundgrube für Leser und Forscher. Das Faszinierende des Daodejing besteht in einer einzigartig anmutenden Bündelung kosmischer, seelischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge, die mit Recht als unio mystica bezeichnet werden kann. © Bild und Text Leipziger Literaturverlag. Kalinke, Viktor: Studien zu Laozi Daodejing, Bd. 2 - Anmerkungen und Kommentare, Leipziger Literaturverlag, 2000.

Buchtipp: Studien zu Laozi Daodejing, Bd. 3

Zur Rationalität des Mystischen. Essay. Inwieweit folgt die moderne Reflexion der Folgen sozialen und politischen Handelns archaischen Mustern? Was können wir aus einer 2300 Jahre alten Schrift lernen über die Durchsetzung globaler Wirtschaftsmechanismen und eine Welt, die sich komplexen Zusammenhängen öffnet? Gibt das berühmte Daodejing des Laozi tatsächlich Antworten auf unsere heutigen Fragen oder sind es vielmehr wir selbst, die, verführt von den Übersetzern, unsere eigenen Antworten in das Buch hineinprojizieren? Auf scheinbar mystische Weise wohnt dem Daodejing die Fähigkeit inne, uns die Antworten zu entlocken, die wir benötigen. Den altchinesischen Philosophen zeichnet aus, daß er mehrere Sichtweisen gegenüber der Wirklichkeit einzunehmen vermag, ohne sich an eine fest zu klammern. Er wechselt zwischen den Perspektiven, wenn es die Situation erfordert oder anbietet. In diesem Essay geht Viktor Kalinke der Frage auf den Grund, wie mehrdeutige Formulierungen sowohl zur sozialrevolutionären als auch zur spirituellen Wirkung des Daodejing geführt haben und bis in die Gegenwart zur Neuauslegung anregen. © Bild und Text Leipziger Literaturverlag. Kalinke, Viktor: Nichtstun als Handlungsmaxime - Studien zu Laozi Daodejing, Bd. 3, Leipziger Literaturverlag, 2011

Literatur

Buchtipp: Das Tao der Weisheit

Die vorliegende Schrift stellt erstmals wortgemäße, sinngemäße und poetische Übersetzung synoptisch neben das chinesische Original samt Lautschrift und erleichtert so auch neuen Freunden des Tao den Zugang. Fortgeschrittene finden vielfache Anregungen zur Vertiefung in Fußnoten, dem Vergleich mit den jüngsten Manuskriptfunden Mawangdui und Guodian sowie einer umfangreichen weiterführenden Quellensammlung (auch audiovisuell und internetbezogen). Und nun: Jede Reise beginnt mit einem ersten Schritt! Kap. 64. © Text und Bild Mainz Verlag. Das Tao der Weisheit: Laozi - Daodejing - Hilmar Klaus. Mainz Verlag, 2008, ISBN: 978-3810700414. Website zum Buch: www.tao-te-king.org

Lesetipp: Synopse und kommentierte Übersetzung des Buches Laozi

Eine Synopse und kommentierte Übersetzung des Buches Laozi sowie eine Auswertung seiner gesellschaftskritischen Grundhaltung. Gerstner, Ansgar; Dissertation Universität Trier; 2001

Buchtipp: Laozi - Meister der Spiritualität

Das Daodejing (Tao te king) des Laozi (Lao tse) ist in Ostasien und seit etwa zweihundert Jahren auch im Westen eines der meist gelesenen Bücher überhaupt. Allein auf Deutsch sind über 100 Übersetzungen erschienen - mit zum Teil höchst verschiedenen Deutungen. Hans-Georg Möller ernschließt dieses Hauptwerk des Daoismus neu, indem er die Symbol- und Bilderwelt als Schlüssel versteht. Eine prägnante Einführung in eines der großen Dokumente ostasiatischer Weisheit, das überraschende Perspektiven auf existentielle Grundfragen eröffnet. © Bild und Text Herder Verlag. Laozi- Meister der Spiritualität, Hans-Georg, Möller, Herder-Spektrum, 2003

Buchtipp: Über die politische Philosophie im Daodejing

Ziel dieser Auseinadersetzung mit der Philosophie Laozis ist die Wiederherstellung des ursprünglichen Sinngehalts des Daodejings (DDJ) sowie der mutmaßlichen Bedeutung der enthaltenen Essenz für den originären Verfasser und dessen Publikum. Im Anschluss an die Bewusstmachung des Kontexts seiner Genesis werden der Text sowie die grundsätzliche Gültigkeit der darin enthaltenen Gedanken deswegen, ganz im Sinne der historischen Hermeneutik, in direktem Bezug auf die soziohistorischen Umstände ihrer Entstehung interpretiert. Mit erstaunlicher Sekurität lässt sich dergestalt konkludieren, dass sich das DDJ als ursprünglich zutiefst politisches Werk primär mit der Realisierung von Frieden und gesellschaftlicher Ordnung beschäftigt. Wie diese Ordnung im Detail auszusehen hat, muss anhand Laozis Hauptthema, der Problematik der Identität und Funktion des "Dao", entschlüsselt werden. Zentrale Fragen, mit denen sich diese Arbeit beschäftigt, sind daher: Was ist das Dao (im DDJ)? In welchem Bezug steht es zur phänomenalen Welt? Wie lebt der Mensch in diesem Dao? Wie hat er es verloren und (wie) kann er es zurückgewinnen? Welche politische Form des Zusammenlebens beschreibt Laozi als optimal? Warum? © Bild und Text Bachelor + Master Publishing. Über die politische Philosophie im Daodejing; Nicolas Meudt; Bachelor + Master Publishing; 2013

Ausgewählte Übersetzungen des Daodejing

Laozi
Daodejing
Aus dem Chinesischen von Viktor Kalinke
Leipziger Literaturverlag (2011)

Das Tao der Weisheit
Laozi - Daodejing
Laozi (Autor)
Hilmar Klaus (Übersetzer)
Mainz Verlag (2008)

Das Buch Laozi
Laozi (Autor)
Übersetzungen mehrerer chinesischer Ausgaben mit Kommentaren
Ansgar Gerstner (Übersetzer)
VDM Verlag Dr. Müller (2008)

Tao Te King
Nach den Seidentexten von Mawangdui
Laozi (Autor)
Hans-Georg Möller (Autor)
Fischer Taschenbuch (1995)

Lao Zi (Laotse)
Der Urtext
Laozi (Autor)
Kubin, Wolfgang (Herausgeber und Übersetzer)
Herder (2014)

Laozi Daodejing
Der Klassiker vom Dao und vom De
Laozi (Autor)
Muhammad W.G.A. Schmidt (Übersetzer)
Viademica (2009)

Tao te king
Laozi (Autor)
Gia-Fu Feng, Jane English (Übersetzer)
Diederichs (1994)

Tao Te King
Laozi (Autor)
Das heilige Buch vom Tao
Zensho W. Kopp (Übersetzer)
Schirner (2005)

Das Tao Te King des Laotse
Die 81 Kapitel des chinesischen Klassikers gezeichnet und interpretiert von Tsai Chih-Chung
Chih-Chung Tsai (Illustrator), Yunhai Cui (Übersetzer), Matthias Claus (Übersetzer)
Das klassische China (2008)

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