Shàng Dé - 上 德 - Höchste Innere Kraft
"Der Grundbegriff de ist uns aus dem Titel des Laozi, dem Dao de jing (Tao te king) - dem Buch vom dao und vom de - bekannt. De wird gewöhnlich durch 'Tugend' übersetzt. Das Schriftzeichen de ist zusammengesetzt aus dem Zeichen für 'aufrichtig, gerade', dem Zeichen für 'Herz-Geist' sowie dem Radikal für 'Schritt, einen Schritt machen'. Der Begriff de leitet sich ursprünglich wohl von animistischen Vorstellungen her und war in seiner Bedeutung 'Zauber-Kraft' Begriffen wie mana sowie dem gr. arete und dem lat. virtus (Kraft, Tauglichkeit, Tüchtigkeit) nahe. Nicht nur der Mensch hat de, sondern z.B. auch Holz oder die Jahreszeiten. De wirkt als die Wirkkraft des dao in der Natur wie im Menschen und bildet gleichsam ein unverzichtbares Bindeglied zwischen beiden. Insofern übersetze ich de nicht durch 'Tugend', was es auf den Bereich menschlicher Moral bzw. Ethik einschränken würde, sondern durch 'Tauglichkeit' oder 'Integrität'.
'Hohes de ist ohne de' – so heißt es in Kap. 38 des Laozi. Dementsprechend wird hier in Kap. 21.4 des Zhuangzi die Tauglichkeit, die virtuose Wirkkraft des höchsten Menschen mit dem Sprudeln des Wassers verglichen. Das Sprudeln des Wassers, sein Tun ist ohne Tun - es sprudelt ganz von alleine (wuwei ziran). Das dao wirkt in ihm als de: die Dinge nehmen in seinem wirkungsvollen Tun ohne Tun ihren Lauf. Es sprudelt gleichsam absichtslos ohne eigenes Zutun und ohne Selbst. Es wirkt kraft seiner Natur. So sprudelt auch das, was der daoistische Weise tut, ganz natürlich, spontan und ohne Absichten aus ihm heraus, selbstvergessen und ohne großes Aufhebens davon zu machen."
Zhuangzi - Meister der Spiritualität, Wohlfart, 2002, S. 87
上 德 不 德 | shàng dé bù dé | Höchste Innere Kraft: wie nicht Innere Kraft |
是 以 有 德 | shì yǐ yǒu dé | darum hat sie Innere Kraft |
下 德 不 失 德 | xià dé bù shī dé | geringe Innere Kraft kann nicht loslassen ihre Innere Kraft |
是 以 無 德 | shì yǐ wú dé | darum ist sie ohne Innere Kraft |
上 德 無 為 而 無 以 為 | shàng dé wú wéi ér wú yǐ wéi | Höchste Innere Kraft: nicht-eingreifendes Handeln, und ohne absichtliches Tun |
下 德 無 為 而 有 以 為 | xià dé wú wéi, ér yǒu yǐ wéi | geringe Innere Kraft: nicht-eingreifendes Handeln, doch mit absichtlichem Tun |
Laozi - Daodejing - Kapitel 38
Das Tao der Weisheit, Hilmar Klaus, Mainz Verlag, 2008, S. 184
Zhuāngzǐ - 莊 子 - Kapitel 21
Edler Viereckfeld - 田 子 方 - Tián Zǐ Fāng
"Das Gluckern von Wasser ist seine natürliche Eigenschaft und keine absichtliche Handlung. Ähnlich verhält es sich mit der Tugend des höchsten Menschen: Er braucht sie nicht zu kultivieren, und doch kann sich nichts ihrem Einfluss entziehen. Er ist wie der Himmel, der ganz von selbst hoch ist, wie die Erde, die ganz von selbst fest ist, wie Sonne und Mond, die ganz von selbst hell sind. Wozu müsste er diese Eigenschaft noch kultivieren?"
Zhuangzi - Das klassische Buch daoistischer Weisheit
Mair (Hrsg.), Schuhmacher (Übers.), 2008, Windpferd, S.242
Mehr Informationen
- Dao - Dao bei michaelditsch.de
- Zhuangzi - Zhuangzi bei michaelditsch.de
- Chinese Text Project - Daoism
ctext.org/daoism - De bei Wikipedia
de.wikipedia.org/wiki/De_(Philosophie)